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Internalisierter Rassismus & Doppelbewusstsein

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Warum diesen Text lesen…
Sie sind eingeladen, diesen Text zu lesen, wenn es Sie interessiert, warum sich manchmal minorisierte Menschen von der Gesellschaft isolieren und sich lieber mit Menschen aus "ihrer" Gemeinschaft umgeben. Auf diese Weise könnten Sie herausfinden, wie sich Stereotypisierungen auf Kinder und Jugendliche in Schulen auswirken können.

Historischer Kontext
Nach Pyke (2010) basieren alle Unterdrückungssysteme (wie z.B patriarchale Strukturen) auf der Verinnerlichung von Unterdrückungsmechanismen, die dann wiederum reproduziert werden. Unterdrückung gilt als verinnerlicht, wenn sie von den Unterdrückten akzeptiert wird. Der Diskurs über verinnerlichten Rassismus wurde im zwanzigsten Jahrhundert von weißen Wissenschaftlern dominiert, weshalb verinnerlichter Rassismus als rassistische Stereotypen, Werte, Bilder und Ideologien gesehen wird, die von der dominanten weißen Gesellschaft "eingeimpft" wurden (siehe ebd.: 553).
Verinnerlichter Rassismus und Doppelbewusstsein basieren auf der Annahme, dass Menschen aufgrund ihrer körperlichen Eigenschaften, ihrer Religion oder anderer Merkmale in Gruppen mit unterschiedlichen Werten eingeteilt werden könnten. Diese rassistische Unterscheidung zwischen Menschen wurde von den Kolonisatoren als Rechtfertigung für Ausbeutung erfunden, da Personen, die nicht als Menschen gelten, nicht unbedingt als solche behandelt werden müssten (Eze 2011:878).

a) Diskussion
"Verinnerlichter Rassismus" (Pyke 2010:557) ist die Anerkennung und Akzeptanz von negativen Zuschreibungen der Mehrheitsgesellschaft an Individuen, die nicht zu ihr gehören. Verinnerlichter Rassismus entsteht, weil eine unterdrückte Person ihre von anderen zugeschriebene Position akzeptiert. Durch die Kontrolle der Produktion von legitimem Wissen (siehe ebd. .: 557) wird das, was im Interesse des Unterdrückers liegt, als richtig und wahr dargestellt, während alles andere als falsch und unwahr gilt (siehe ebd. .: 557). Diese subtile Indoktrinierung vermittelt den Unterdrückten den Eindruck, dass ihre Unterlegenheit gerechtfertigt ist (siehe ebd.: 557) und dass die gegen sie bestehenden Stereotypen wahr sind, und so werden diese unbewusst reproduziert. Das bedeutet, dass beispielsweise, wie Jennifer Lucko (2011) untersucht, die aus Lateinamerika nach Spanien ausgewanderten Student*innen, die fleißig und zielstrebig waren, anfangen, inaktiver zu werden, da sie in ihrer neuen Heimat täglich mit der Behauptung konfrontiert wurden, dass dies ihr "natürliches" lateinamerikanisches Verhalten sein soll. Das Bewusstsein, immer vor dem Hintergrund dieser Attribute gesehen zu werden, wurde erstmals 1903 vom Afroamerikaner W.E.B. Du Bois als "doppeltes Bewusstsein" beschrieben (Du Bois 1903:83). Mit einer ähnlichen Perspektive spricht Frantz Fanon 50 Jahre später von einem "Dritte-Person-Bewusstsein".

W.E.B. Du Bois beschreibt eindrücklich, wie eine Person, die verinnerlichten Rassismus und Doppelbewusstsein erlebt, sich selbst immer "mit den Augen der anderen" sieht und bewertet. Er/Sie erlebt auch immer eine " Zweiheit": "ein Amerikaner, ein Neger; zwei Seelen, zwei Gedanken, zwei unversöhnliche Bestrebungen; zwei kriegerische Ideale in einem dunklen Körper, dessen verbissene Stärke allein verhindert, dass er auseinander gerissen wird" (Du Bois 1989 [1903]:3f).

"Defensive Othering" (Pyke 2010:557) ist eine Form von verinnerlichtem Rassismus, bei der suggeriert wird, dass der "Andere" Teil der dominanten Gruppe werden kann, indem er sich an deren Regeln anpasst. Dies ist jedoch eine Illusion, denn solange diese Zuschreibungen existieren, werden bestimmte Individuen und Gruppen immer zu "den anderen" gemacht. Je mehr sich die Unterdrückten mit der herrschenden Klasse identifizieren, desto mehr akzeptieren und fördern sie die Strukturen, die Unterdrückung bewirken. Es ist daher schwierig, eine eigene Identität zu konstruieren, die sich von dem unterscheidet, was ihr zugeschrieben wird, da dies in Abgrenzung zu den hegemonialen und fast universell gültigen Schemata und Bedeutungen geschehen muss, die häufig von Weißen Erfahrungen dominiert werden.

b) Praktisches Beispiel
Dieses Spannungsverhältnis wird in den Beschreibungen der 16-monatigen Forschung von Lucko (2011) im Arbeiterviertel Ciudad Lineal in Madrid deutlich, während der sie in regelmäßigem Kontakt mit sechs Familien aus Ecuador stand (Lucko 2011:220). In den Schulen der Kinder wurde zwischen den fähigeren und den schwächeren Schülern unterschieden. Lucko beobachtete, dass die ausgewanderten Schüler eher als weniger fähig angesehen wurden, obwohl viele von ihnen in Ecuador sehr gute Noten hatten. Dies ließ sich vor allem auf unreflektierte Vorurteile der Lehrer*innen zurückzuführen. Bemerkenswert ist die Veränderung der Selbstverständnisse von Schüler*innen für ihre eigene Identität, je länger sie in Spanien blieben, und die damit verbundene tägliche Konfrontation mit bestehenden Stereotypen, was zu verinnerlichtem Rassismus und Doppelbewusstsein unter den Jugendlichen führte. Einige Monate nach der Einwanderung nach Spanien beispielsweise wiederholte eine Schülerin, dass sie keine grundlegenden Unterschiede zwischen sich als Lateinamerikanerin und ihren spanischen Klassenkameraden sah. Als sich ihre schulischen Leistungen jedoch verschlechterten, verband sie sich allmählich mehr und mehr mit einer Gruppe von Schüler*innen, die sich als Latinos / Latinas bezeichnen, und fand so Zugang zur lateinamerikanischen Szene in ihrer Nachbarschaft (Lucko 2011:212). Dies führte zu einer anderen Strategie - sie begann, sich zusammen mit ihrer Gruppe von ihren spanischen Altersgenossen zu unterscheiden und sich klar als Latina zu definieren (Lucko 2011:224). Dieser Wandel in ihrem Verhalten und ihrer Identifikation fand erst statt, nachdem die Studentin den relativ geschützten Raum ihres Herkunftslandes verlassen hatte. Dort wurde sie in erster Linie als Person und nicht als Lateinamerikanerin gesehen und begann, in einem Land zu leben, in dem sie als Vertreterin der stereotypen, konstruierten Gruppe von Lateinamerikanerinnen angesehen wurde. Dies zeigt, dass verinnerlichter Rassismus und Doppelbewusstsein, insbesondere im Alter von Schulkindern, ihre Identität erheblich beeinflussen und sie dazu drängen kann, ihr Verhalten und ihre Identität an das Bild anzupassen, das die Gesellschaft von ihnen hat.

Weiter denken

  • Welche Stereotypen hätten Menschen über Sie, wenn Sie zum ersten Mal in eine Gruppe kommen?
  • Würde sich das auf Sie und Ihre Identität auswirken? Wenn ja, warum? Wenn nicht, warum?
  • Welche verinnerlichten Stereotypen sind in Ihren Studierenden vorhanden und wie manifestieren sich diese im Unterricht? Was wäre die beste pädagogische Methode, um damit umzugehen?

Stichwörter / Querverweise
Reflexivität, Doing School,

Quellen
Du Bois, W.E. B. (1989 [1903]). The Souls of Black Folk. New York.

Can, A. (2018). Initiator Ali Can über #MeTwo und Mesut Özil. Spiegel Online. 29.7.2018.

Can, A. (2019). Ali Can: Privat.  (21.6.2019).

Diez, G. (2018). Diese Geschichten werden unser Land verändern. Spiegel Online. 29.7.2018.

Eze, E. C. (2011). On Double Consciousness. In Callaloo, 34(3). (877-898).

Fanon, F. (1967 [1952]). Black Skin, White Masks. London: Seuil.

Grosfougel, R. (2016). What is Racism? In Journal of World-System Research, 22. (9-15).

Lucko, J. (2011). Tracking Identity- Academic Performance and Ethnic Identity among Ecuadorian Inmigrant Teenagers in Madrid. In Anthropology & Education Quarterly, 42(3). (213-229).

Pyke, K. D. (2010). What is Internalized Racial Opression and Why Dont´t We Study it? Aknowledging Racisms´s Hidden Injuries. In Sociological Perspectives, 53. (551-572).

Autor*innen: Christa Markom & Anna-Lena Maria Christine Friedl (Österreich)

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